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Wie lebt es sich in einem Wohnprojekt? – Ein Besuch auf dem Posthof

Allgemein

Als BUNDjugend besuchen wir im Rahmen der Exkursionsreihe „Nachhaltige Lebenswelten“ den Posthof, ein Wohn- und Hofprojekt bei Rendsburg. Dort erfahren wir, wie das Leben in einem gemeinschafltichen Wohnprojekt aussieht.

Backsteinhaus mit Garten und Bäumen

„Gemeinsam Wohnen und Leben“ – so einfach lässt sich das Prinzip von gemeinschaftlichem Wohnen auf den Punkt bringen. In den letzten Jahren hat diese alternative Lebensweise immer mehr an Attraktivität gewonnen. Aber was genau bedeutet „Gemeinsam Wohnen und Leben“ eigentlich? Wie lebt es sich in einem Wohnprojekt? Und warum entscheiden sich Menschen dazu in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt zu leben?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden und um uns ein eigenes Bild vom gemeinschaftlichen Leben in einem Wohnprojekt zu machen, haben wir – eine kleine Gruppe neugieriger Menschen – uns an einem sonnigen Samstag im Juli auf den Weg gemacht, um den Posthof im Rahmen der Exkursionsreihe „Nachhaltige Lebenswelten“ zu besuchen. Der Posthof ist ein historischer Resthof in der Nähe von Rendsburg. Umgeben von Wiesen, Wald und Weiden leben dort 16 Menschen aus 3 Generationen in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt zusammen mit Katzen, Pferden und Hühnern. Nach einer kurzen Fahrradtour vom Bahnhof in Rendsburg (der Posthof hat zwar eine Bushaltestelle, aber leider hält dort am Wochenende kein Bus) wurden wir auf dem Posthof von Franzi, Lachsi, Noah und Liesel herzlich in Empfang genommen.

Warum leben Menschen in einem Wohnprojekt?

Nach unserer Ankunft machten wir es uns unter dem Schatten der Bäume auf der Streuostwiese gemütlich. Und bei einem Glas selbstgemachter Limonade erzählte Franzi uns von gemeinschaftlichen Wohnprojekten und was sie gemeinsam haben. Denn obwohl jedes Wohnprojekt in seiner Form und Organisation einzigartig ist – manche richten sich an bestimmte Zielgruppen, wie ältere Menschen oder Alleinerziehende, andere sind generationenübergreifend organisiert und wieder andere legen einen Fokus auf eine nachhaltige, ökologische und vielleicht auch möglichst autarke Lebensweise – gibt es doch ein paar Gemeinsamkeiten.

Ein entscheidendes Merkmal ist die Beteiligung der in dem Projekt lebenden Menschen an Prozessen und Entscheidungen. Außerdem gibt es immer eine Form von Gemeinschafsräumen und Gemeinschaftsflächen. Wie hoch der Grad der Beteiligung und der Anteil der gemeinschaftlich genutzten Flächen und Räume ist, ist von Projekt zu Projekt verschieden. So wird bei manchen Projekten wirklich alles gemeinschaftlich genutzt – von der Küche und dem Bad bis hin zu den Schlafräumen – und bei anderen beschränkt sich die gemeinschaftliche Nutzung auf bestimmte Teilbereiche, wie etwa den Garten oder einen Gemeinschaftsraum.

Oft haben Gemeinschaftsprojekte darüber hinaus noch das Ziel auch mit den Menschen außerhalb des Projektes in Kontakt zu treten und mit Angeboten für alle einen Mehrwehrt für die Gesamtgesellschaft zu schaffen. Das kann ein Hofcafé, eine angegliederte Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) oder ein Seminar- und Workshop-Angebot sein.

Welche Frage uns aber am meisten interessierte: Warum entscheiden sich Menschen eigentlich dazu in einem Wohnprojekt zu leben? Wie wir in unserer Diskussion feststellten, können die Gründe hierfür sehr verschieden und individuell sein. Bei Patrick heißt es beispielsweise: „Ich bin nicht gern allein und möchte mit Menschen zusammenwohnen, die ich schätze.“

Aber auch die anderen aus unserer Gruppe können sich das Leben in einem Wohnprojekt vorstellen und sehen einige Vorteile im gemeinschaftlichen Wohnen: etwa die Community, die sich unter die Arme greift und mit der sich auch (größere) Dinge realisieren lassen. Dinge, die sich für einen selbst oder wenige Personen oft schlichtweg einfach nicht lohnen, weil die Arbeitslast viel zu groß ist oder man keinen Platz dafür hat. Auch das Teilen von Ressourcen wie Werkzeuge oder Autos und die Unabhängigkeit von Entscheidungen der Vermieter*innen stellen aus Sicht der Teilnehmenden große Pluspunkte dar.

Für Franzi steht vor allem auch die Mitbestimmung im Vordergrund:

„Ich kann mir in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt die Menschen, mit denen ich in meinem direktesten Umfeld zusammenlebe und mit denen ich viel Zeit verbringe, selbst aussuchen.“

Bei anderen Wohnformen, wie etwa dem Wohnen zur Miete, geht das in der Regel nicht. Dort hat mensch keinen Einfluss darauf, wie die Nachbarschaft aussieht und wer neu hinzuzieht.

Und eben all diese (auch von uns) genannten Punkte sind häufig die Beweggründe dafür, dass Menschen in einem Wohnprojekt leben. Es geht um den Anschluss an Gleichgesinnte, Zusammenhalt und Unterstützung in der Gemeinschaft, mehr Unabhängigkeit von der Gesamtgesellschaft und eine autarke bzw. selbstbestimmtere Lebensweise oder aber auch die Selbstverwirklichung.

Die Geschichte des Posthofs

Nach der ganzen Theorie wurde es Zeit sich ein wenig die Beine zu vertreten. Bei einer Führung über den Posthof haben uns Franz, Lachsi, Noah und Liesel dann noch mehr über die Entstehung des Projektes und das Leben vor Ort erzählt. Das tolle: sie nahmen dabei kein Blatt vor den Mund und gingen auch ehrlich auf die Herausforderungen und Schwierigkeiten des gemeinschaftlichen Lebens im Allgemeinen und auf dem Posthof ein. Gleichzeitig merkten wir ihnen aber auch immer wieder ihre Begeisterung für das Projekt an und wie wohl sie sich hier fühlen.

Zum Posthof gehören die Wohngebäude (das Haupthaus und der Bungalow) sowie verschiedene Nebengebäude, die unter anderem eine Holzwerkstatt, einen Fahrradschuppen und das kleine Seminarräumchen beherbergen sowie sieben Hektar Land. Im großen Garten gibt es einen gemeinschaftlichen Gemüsegarten, einen Kinderbereich sowie eine gemütliche Feuerstelle und einen Badezuber. Das restliche Land verteilt sich auf Wald und Grünland. Außerdem gibt es vor Ort noch Hühner, einen Wagenstellplatz und eine Pferdepension. Anfang 2019 wurde das Wohnprojekt auf dem Posthof von zwei jungen Familien gegründet. Die Idee eines gemeinschaftlichen Wohnprojektes im ländlichen Raum bestand schon länger und die intensive Planung begann bereits ein Jahr vor dem Einzug. Nachdem sich die Gründer*innen auf Anhieb in den Posthof verliebten, ging es plötzlich viel schneller als geplant.

Quasi von jetzt auf gleich gründeten sie eine eingetragene Genossenschaft (eG), schrieben sich eine Satzung, erarbeiteten ein Finanzierungskonzept, sammelten das Geld für das Eigenkapital (in Form von Privatvermögen und Direktkrediten von Freund*innen und Familie) zusammen und klapperten mehrere Banken ab, bis sie schließlich eine Bank fanden, die das Projekt unterstützte. Im April 2019 zogen dann die ersten Bewohner*innen auf dem Posthof ein und es wurde mit den Umbau- und Renovierungsarbeiten begonnen.

Die Genossenschaft ist ein gut erprobtes Modell für Gemeinschaftsprojekte dieser Art und bietet allen Mitgliedern eine hohe Sicherheit. Die Mitglieder haben ein lebenslanges Wohnrecht in dem Wohnprojekt und jedes Mitglied hat unabhängig davon, wie viele Anteile gekauft wurden, eine gleichberechtigte Stimme. Die Mitglieder zahlen keine normale Miete, sondern eine Nutzungsgebühr für das Objekt. Diese deckt die Nebenkosten, die Kosten für die Instandhaltung und in der Startphase auch die Kreditraten. Ziel ist es, im Laufe der Zeit, also wenn der Kredit zurückgezahlt ist, die Nutzungsgebühr immer weiter zu verringern. Die eingetragenen Genossenschaft (eG) ist nicht gewinnorientier. Das heißt, etwaige Gewinne werden an die Mitglieder ausgeschüttet oder ggf. in die Instandhaltung investiert. Über die Höhe der Instandhaltungskosten (und damit auch der Nutzungsgebühr) wird gemeinschaftlich entschieden.

Wandel gehört dazu

In der noch recht kurzen Zeit seines Bestehens gab es bereits viele, teils gravierende, Veränderungen auf dem Posthof. Die Zusammensetzung der Bewohner*innen hat sich mehrfach geändert. Die einen gingen im Streit, die anderen aufgrund veränderter Familienbedürfnisse und wieder andere kamen und wurden von „einfachen“ Mieter*innen zu einem Teil der Gemeinschaft. Auch das Zusammenleben im Haupthaus wurde von einer Art großen WG, in der bis auf die Schlafräume alles geteilt und auch gemeinsam gegessen wurde, in abgeteilte Wohnbereiche für jede Familie umstrukturiert. Darüber hinaus wurden ursprüngliche Ideen wie einer Senior*innen-WG oder zu vermietende Ferienwohnungen wieder verworfen. Auch die Rechtsform wurde von einer Genossenschaft in eine Wohnungseigentümer*innengenossenschaft umgewandelt. Durch diese Änderungen wurden zum einen Anreize geschaffen, sich mit mehr Anteilen im Gemeinschaftsprojekt zu beteiligen. Gleichzeitig besteht nun aber auch die Möglichkeit unbegrenzt zur Miete zu wohnen, ohne sich in die Genossenschaft einkaufen zu müssen. Auch die Arbeitslast im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts wurde verringert. Musste jede Einzelperson zu Beginn 20 Stunden in den Hof stecken (beispielsweise Arbeit für die Pferdepension, Renovierung und Instandhaltung der Gebäude, Weidepflege etc.), kann nun jede*r selbst entscheiden, wie viel Arbeit möchte oder kann ich für das Projekt leisten. Die geleisteten Arbeitsstunden werden als Mietminderung gutgeschrieben.

Natürlich waren manche dieser Zeiten auch sehr stressig und belastend, wie Franzi uns erzählt. Aber sie waren auch mit wichtigen Learnings und der Erkenntnis verbunden, dass Wandel mit den Menschen, die hier leben, irgendwie auch ein Stück weit dazugehört.

Leben auf dem Posthof

Und wie lebt es sich nun auf dem Posthof? Einen kleinen Eindruck konnten wir hautnah erleben. Wie leider so oft im ländlichen Raum, ist die Anbindung an den ÖPNV nicht unbedingt immer optimal. Aber mit dem Fahrrad ist es nicht weit bis nach Rendsburg und auch sonst sind wichtige Orte der Nah- und Daseinsversorgung (z.B. KiTa, Einkaufsmöglichkeiten etc.) gut erreichbar.

Vor Ort gibt es verschiedene Wohnformen: von eigenständigen Wohnungen im Bungalow über einen Bauwagen auf dem Wagenstellplatz hin zu abgetrennten Wohnbereichen im Haupthaus. Jeder Wohnbereich verfügt über eigene Schlafräume, eine Küche, Badezimmer und ein Wohnzimmer, so dass jede Familie einen eigenen Rückzugsort hat. Die Flure sind aber Gemeinschaftsflächen. Das führt dazu, dass sich die Kinder frei bewegen und mal bei der einen und mal bei der anderen Familie verweilen. Ein wichtiger Ort der Begegnung ist der große Garten. Dort wird sich auf einen Kaffee getroffen, abends zusammen am Lagerfeuer gesessen, gemeinsam gegessen, gelacht oder Musik gemacht.

Auch andere Bereiche wie etwa die Holzwerkstatt werden gemeinschaftlich genutzt. Dort gibt es ein Schraubenregal zum Selbstkostenpreis, ein Teil der Werkzeuge gehört der Genossenschaft und ein anderer Teil den einzelnen Bewohner*innen, die diese allen zur Nutzung zur Verfügung stellen. Einige Grundnahrungsmittel werden in Großgebinden gekauft und alle Mitglieder der Gemeinschaft können sich daran bedienen. Die Posthof-Bewohner*innen kümmern sich auch gemeinschaftlich um die Hühner und den Hofkater. Dazu gibt es einen wöchentlichen Dienstwechsel. Ein weiterer wichtiger Dienst für alle Bewohner*innen des Haupthauses ist der Ofendienst. Gleich zu Beginn der Renovierungsarbeiten wurde die alte Ölheizung durch einen modernen Holzvergaserofen ausgetauscht und dieser will für die Wärmeversorgung (Heizung und Warmwasser) regelmäßig mit Scheitholz bestückt werden. Im Sommer seltener, in der kalten Jahreszeit dafür umso öfter. Dazu gibt es sogar eigens eine selbst entwickelte Posthof-App, in der nachgeschaut werden kann, ob Holz nachgelegt werden muss. Inzwischen sind noch weitere Funktionen in der App dazu gekommen, wie etwa die Übersicht über die aktuell eingespeiste Strommenge aus der Photovoltaik-Anlage, ein Dienstplan für die Dienste für Ofen, Hühner und Kater, ein Kalender sowie das gemeinsame Carsharing.

Ansonsten gibt es jeden Mittwoch einen Gemeinschaftsabend und einmal im Monat ein Plenum. Vier Mal im Jahr wird ein Aktionstag veranstaltet, bei dem sich die Bewohner*innen einen ganzen Tag Zeit nehmen, um gemeinschaftliche Arbeiten am Hof zu verrichten, etwa zur Instandhaltung der Nebengebäude. Die Teilnahme am Plenum ist wichtig und darüber hinaus kann jede*r für sich selbst entscheiden, wie viel und was man machen möchte und wie man am Gemeinschaftsleben teilnehmen möchte.

Wir haben uns übrigens während der Führung einer kleinen „Eignungsprüfung“ gestellt, um zu sehen, wie wir uns auf dem Posthof schlagen und ob wir uns für ein Leben im Gemeinschaftsprojekt eignen würden. Anhand verschiedener kleiner Spielchen, die typischen Aufgaben auf dem Posthof nachempfunden waren, konnten wir unsere Fähigkeiten unter Beweis stellen. Dazu gehörten beispielsweise das Entfernen von Ampferpflanzen auf der Wiese, das Einfangen ausgebüxter Hühner (zum Schutz der Tiere wurden gebastelte Hühner versteckt) oder ganz wichtig, das Aufstapeln der Holzscheite für den Holzvergaserofen. Diese kleinen „Prüfungen“ haben wir mit Bravur bestanden. 😉

Zum Abschluss unseres Ausflugs auf dem Posthof haben wir uns noch einmal unter die Bäume auf der Streuobstwiese mit Franzi, Lachsi, Noah, Liesel und weiteren Bewohner*innen des Posthofs zusammengeset, um bei frischem Salat aus dem Gemüsegarten und einer kleinen Brotzeit weiter über das Leben in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt zu sprechen.

Unser Besuch auf dem Posthof hat uns wahnsinnig gut gefallen, wir haben tolle neue Eindrücke gewonnen, uns bei den Bewohner*innen willkommen gefühlt und können sagen, wir könnten uns ein Leben in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt wie dem Posthof ziemlich gut vorstellen!

Danke an Franzi, Lachsi, Noah und Liesel!

Du willst mehr über den Posthof erfahren, dann schau doch mal im Netz auf der Homepage und Instagram oder vor Ort in Person vorbei.

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