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Wie sieht die Stadt von Morgen aus? – Suffizienter Stadtrundgang durch Flensburg

Allgemein,  Suffizienz

Als BUNDjugend besuchen wir im Rahmen der Exkursionsreihe „Nachhaltige Lebenswelten“ die Stadt Flensburg. Bei einem suffizienten Stadtrundgang erfahren wir, wie die Stadt von Morgen aussehen kann.

Gruppe von Leuten auf einem Bürgersteig.

Die Schaffung nachhaltiger Städte und Gemeinden ist eines der 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Developmental Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. In Ziel 11 heißt es: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen. Aber wie wird aus einer Stadt eine nachhaltige Stadt und warum ist die nachhaltige Entwicklung von Städten so wichtig?

Antworten auf diese Fragen haben wir bei einem Suffizienten Stadtrundgang durch Flensburg im Rahmen unserer Exkursionsreihe „Nachhaltige Lebenswelten“ erhalten. Anhand von 7 Stationen zeigte uns Clara vom Transformativen Denk und Machwerk e.V. die Stadt mal aus einer ganz anderen Perspektive und gab uns Einblicke in Chancen und Herausforderungen einer Suffizienz-orientierten Stadtentwicklung. Die zentrale Leitfrage, die uns auf dem Weg begleitet hat, war: Wie sollen Stadträume gestaltet sein und wie können wir in einer Stadt künftig gut und ressourcenarm gemeinsam leben?

Station 1: Was ist eigentlich Suffizienz?

An der ersten Station unseres Rundgangs am Museumsberg haben wir uns nach einer kurzen Vorstellungsrunde erst einmal mit dem Begriff der Suffizienz beschäftigt.

Suffizienz ist neben Effizienz und Konsistenz wesentlicher Bestandteil einer jeden Nachhaltigkeitsstrategie. Anders als die technisch orientierten Strategien der Effizienz und Konsistenz, bei denen es darum geht Ressourcen und Energie besser zu nutzen (Effizienz) und Ressourcenkreisläufe zu schaffen (Konsistenz), zielt die Strategie der Suffizienz vor allem darauf ab, den Energie- und Materialverbrauch auf ein umweltverträgliches Maß zu begrenzen.

Angesichts der globalen Krisen, wie etwa dem Klimawandel und den fehlenden Erfolgen, den Ressourcenverbrauch allein durch effiziente und konsistente Lösungsansätze zu reduzieren (oft tritt hier der „Rebound-Effekt“ ein, wenn Effizienz-Einsparungen durch vermehrte Nutzung oder Konsum wieder zunichte gemacht werden), wird deutlich, dass ein „Weiter so“ nicht möglich ist. Im Sinne der Suffizienz müssen wir unser Verhalten verändern und Praktiken, die übermäßig Ressourcen verbrauchen, einschränken oder ersetzen. Dies trifft sowohl auf unseren persönlichen Alltag zu, aber auch auf gesellschaftliche Strukturen. Denn wir können die Sicherung unserer Lebensgrundlagen für heutige und kommende Generationen nicht allein dadurch wahren, dass Einzelne von uns ihre Essgewohnheiten ändern oder häufiger Mal mit dem Fahrrad fahren.

Eine Suffizienz-orientierte Stadtentwicklung hat zum Ziel, dass Stadträume für möglichst viele Menschen nutzbar sein sollen. Damit sich die Menschen auch suffizient verhalten, werden Strukturen benötigt, die es uns bequem, einfach und alltagstauglich machen unsere Verhaltensweisen in Richtung Suffizienz zu verändern. In Flensburg soll mit dem Hafen-Ost ein suffizientes Quartier entstehen. Ziel ist es einen Ort für Wohnen, Gewerbe, Wissenschaft, Kultur und Freizeit zu schaffen, an dem die Bewohner*innen ein alltagstaugliches und ressourcensparendes Leben führen können. Dabei wird im Planungsprozess auch immer wieder die Nachhaltigkeitsstrategie der Suffizienz mit einbezogen. So soll letztlich ein zukunftsfähiges Quartier mit viel öffentlichem Raum, wenig versiegelter Fläche und Pro-Kopf-Wohnfläche sowie viel Platz für Radfahrer*innen, Fußgänger*innen und den ÖPNV entstehen. Wir sind positiv von dieser Idee angetan und schon ganz neugierig, wie es am Ende aussehen wird.

Station 2: Die Bedeutung von öffentlichen Freiräumen

Für die zweite Station führte Clara uns in den Stadtpark. Dort erzählte sie uns von öffentlichen Freiräumen wie etwa Parks und Grünflächen. Parks und Grünflächen zählen zu grüner Infrastruktur und das Meer, Flüsse oder Seen zu blauer Infrastruktur. Der Zugang zu ihnen stellt einen wichtigen Baustein für die Lebensqualität in Städten dar. Sie bieten eine Alternative zum Wohnen im Grünen am Stadtrand und bieten bei kleinen Wohnflächen und dichter Besiedelung ein attraktives Wohnumfeld. Denn sie schaffen Frischluftschneisen, ein gesünderes Stadtklima, dienen der biologischen Vielfalt und Bodengesundheit und fungieren als wichtige Orte der Erholung, Begegnung, Kommunikation und für Sport und Spiel.

In Flensburg gibt es ganze 16 Parks und 63 Kleingartenanlagen. Im Integrierten Stadtentwicklungskonzept (ISEK) wird die Bedeutung dieser öffentlichen Orte als lebendige Räume betont und die Erhaltung dieser Flächen vorgesehen. Leider entstehen aber aufgrund eines hohen Flächennutzungsdrucks konkurrierende Nutzungsansprüche – eine wachsende Bevölkerung steht in Konkurrenz zu Frei- und Grünflächen sowie Naturschutz- und Klimaschutzmaßnahmen. Dies gilt es genauestens abzuwägen und mögliche Alternativen zu prüfen.

Station 3: Bauen und Wohnen in einer wachsenden Stadt nachhaltig gestalten

Für die nächste Station machten wir am Diakonissenkrankenhaus Halt. Dieses soll zukünftig mit anderen Einrichtungen und Krankenhäusern an einem neuen Standort zu einem Zentralkrankenhaus zusammengelegt werden. Aber was geschieht dann mit dem alten Diakonissenkrankenhaus? Angesichts des steigenden Flächenverbrauchs und -bedarfs für die Siedlungsentwicklung (die Siedlungs- und Verkehrsflächen haben sich in den letzten 60 Jahren mehr als verdoppelt) wird immer wieder nach Alternativen zur Neuversiegelung von Flächen gesucht. Eine Möglichkeit ist beispielsweise die Nachnutzung von Konversionsflächen. Also die Änderung der Nutzung von Flächen, Gebäuden oder Anlagen. Auch das Diakonissenkrankenhaus soll umgenutzt werden, hier sollen neue Wohnungen entstehen. Außerdem sollen in Flensburg aufgrund von Flächenknappheit und mangelnden Wohnflächen, keine „neuen, klassischen, freistehenden Einfamilienhäuser“ mehr entstehen. Denn die Nutzung von Wohnflächen spielt eine große Rolle bei der gerechten Verteilung von innerstädtischen Räumen.

Mit 44 Quadratmetern pro Person liegt die durchschnittliche Wohnfläche in Flensburg zwar 2 qm unter dem Bundesdurchschnitt, aber seit den 1960er Jahren hat sich die durchschnittliche Wohnfläche in Deutschland mehr als verdoppelt. Um diesem Trend entgegenzuwirken gibt es verschiedene Ansätze. Eine Idee ist beispielsweise die Wohnflächen an die Bedürfnisse der jeweiligen Lebensphase der Menschen anzupassen und so eine optimale Nutzung der bestehenden Einfamilienhaus-Flächen zu erreichen. Häufig bleiben Eltern oder ältere Personen auch nach dem Auszug der Kinder oder dem Tod eines Partners in dem großen Haus wohnen. Würde man diese etwa bei einem Umzug in kleinere Wohnungen unterstützen, könnten die freiwerdenden Wohnhäuser von Familien mit größerem Platzbedarf genutzt werden.

Außerdem kann auch die Förderung anderer Wohnformen in den Fokus gerückt werden. Mit Wohngemeinschaften, Cluster-Wohnungen (Kreuzung zwischen Wohngemeinschaft und Kleinstwohnung: mehrere private Wohneinheiten inkl. Bad, die sich Gemeinschaftsräume und Infrastruktur teilen) oder Wohnungen mit gemeinschaftlich genutzten Räumen lässt sich die Pro-Kopf-Wohnfläche deutlich reduzieren.

Darüber hinaus kann die Stadt deutlich mehr Einfluss auf die gemeinwohlorientierte Nutzung und Gestaltung der Flächen nehmen, wenn diese Grundstücke längerfristig in der Hand der Stadt bleiben, zum Beispiel durch Verpachtung.

Station 4: Kleinteilige, dezentrale, nachhaltige Konsumstrukturen

Zur nächsten Station führte Clara uns durch die Norderstraße zum Aktivitetshuset. Anders als die Innenstadt Flensburg, die mit Einkaufsstraße und Einkaufszentren in der Peripherie mehr ein Ort des Konsums ist, ist das Aktivitetshuset ein gutes Beispiel für einen innerstädtischen konsumfreien Ort. Das Projekt- und Kulturhaus der dänischen Minderheit bietet Menschen die Möglichkeit die Räume zu nutzen, handwerklich aktiv zu werden Dinge zu reparieren oder sich zu treffen.

Kleinteilige, dezentrale und nutzungsgemischte Versorgungsinfrastrukturen, wie sie in der Norderstraße zu finden sind, spielen eine bedeutende Rolle in einer Suffizienz-orientierten Stadt, da sie kurze Wege für die Menschen bedeuten und somit klimafreundliche Mobilität begünstigen.

Auch die ehemaligen Kaufmannshöfe bieten Alternativen zum „klassischen“ Konsum. Hier finden sich kleine Geschäfte und Restaurants, Manufakturen, Angebote der Reparatur, zum Nähen oder Second Hand, die gemeinsam mit kleineren Plätzen, die zum Verweilen einladen, die Aufenthaltsqualität steigern und zum Flanieren einladen.

Station 5: Partizipation und Bürgerbeteiligung

Ebenfalls in der Norderstraße befindet sich der Projektraum „hundertacht“. Wie Clara uns berichtet, befindet sich dort die Verteilstation der Solidarischen Landwirtschaft aus Wanderup sowie eine solidarische Einkaufskooperative, Foodsharing und die Küche für alle. Dort sollen sozial-ökologisches Denken und Handeln gefördert und Ideen zu alternativen Konsum- und Lebensweisen entwickelt werden. Sie dient als Beispiel dafür, dass eine sozialverträgliche, umweltschonende Lebens- und Wirtschaftsweise gelebt werden kann. Die „hundertacht“ lebt vom Engagement und Veränderungswillen aktiver Einwohner*innen.

Die Beteiligung von Bürger*innen an der Stadtgestaltung ist ein zentrales Element für einen Suffizienz-orientierten Wandel. Durch kooperative Beteiligungsprozesse und gemeinschaftliche Entscheidungsfindungen können den Einwohner*innen Wissen und Ansätze für nachhaltige Verhaltens- und Lebensstilveränderungen vermittelt werden, so dass eine Akzeptanz für nachhaltige Veränderungen entsteht. Um jedem Menschen, der in Flensburg lebt, die Möglichkeit zu geben sich an Stadtentwicklungsprojekten zu beteiligen, wurde von der Stadt eine Richtlinie zur Einwohner*innen-Beteiligung verabschiedet.

Station 6: Mobilität – Der Umstieg vom Auto zu ÖPNV und Fahrrad

Für die vorletzte Station führte uns Clara runter ans Wasser zur Schiffbrücke. Dort suchten wir uns ein gemütliches Plätzchen am Hafen und lauschten zunächst einmal mit geschlossenen Augen der Umgebung. Wir ließen die Geräusche auf uns wirken und stellten fest, dass der Straßenlärm der Schiffbrücke, einer viel befahrene Hauptstraße, die den Innenstadtbereich von dem Hafen trennt, sehr dominant ist.

Eine Suffizienz-orientierte Stadtentwicklung sieht vor, sich vom Leitbild der autogerechten Stadt zu entfernen. Dazu müssen aber suffiziente Mobilitätsformen wie die Nutzung von Fahrrad, des ÖPNVs oder auch der eigenen Füße so gestaltet sein, dass sie für viele Menschen attraktiv und bequem sind.

Generell wurden Städte in der Vergangenheit vorrangig für Autos gestaltet. Dies fällt auf, wenn man sich anschaut, wie viel Fläche der motorisierte Individualverkehr für den fließenden Verkehr, aber auch fürs Parken beansprucht. So benötigt ein geparktes Auto eine Fläche von 20 Quadratmetern (geparktes Fahrrad: 2 qm; Fußgänger*in, stehend: 0,5 qm) und ein 50 km/h schnell fahrendes Auto bereits die 7-fache Menge, also 140 Quadratmeter (Fahrrad mit 15 km/h: 5 qm; Fußgänger*in, laufend: 2 qm).

Eine Suffizienz-orientierte Stadtentwicklung sieht vor, sich vom Leitbild der autogerechten Stadt zu entfernen. Dazu müssen aber suffiziente Mobilitätsformen wie die Nutzung von Fahrrad, des ÖPNVs oder auch der eigenen Füße so gestaltet sein, dass sie für viele Menschen attraktiv und bequem sind.

Die Stadt muss attraktive Möglichkeiten und Anreize sowie die geeigneten Rahmenbedingungen schaffen, für die es sich lohnt das Auto stehen zu lassen. Eine gut ausgebaute Infrastruktur oder auch Sharing-Angebote ermöglichen den Menschen auf einfachem Weg, zum Beispiel durch kurze Distanzen oder gute Taktung des ÖPNVs, ihre Bedürfnisse erfüllen zu können. Gleichzeitig muss die Nutzung des Autos möglichst unbequem gemacht werden. Dies kann beispielsweise durch Reduzierung der Fahrbahnen und PKW-Stellflächen sowie eingeschränktes und verteuertes Parken geschehen. Eine Umverteilung der Straßenräume zu Lasten des Autos, schafft zudem neue Räume, die als Aufenthalts- und Naherholungsorte genutzt werden können.

Station 7: Keine neuartigen Gedanken – aber neues Handeln!

Am Kompagnietor, unserer letzten Station, angekommen, wies Clara uns auf das Zitat hin, das über dem Torbogen prangt:

„Gerecht und etich alltidt sin Mit Gades hülp bringt grodt Gewin“

(Gerecht und mäßig allzeit sein mit Gottes Hilfe bringt großen Gewinn)

Wie sich herausstellt ist Suffizienz, also Mäßigung und ein sparsamer und bewusster Umgang mit dem, was da ist, gar kein so neuer Gedanke. Wir haben es nur vergessen und im Laufe der Zeit haben sich Strukturen herausgebildet, bei denen ressourcenintensive Praktiken zur Norm geworden sind, weil sie scheinbar mit mehr Annehmlichkeiten verbunden sind. Dabei werden langfristige Folgen für die Umwelt oder das gesellschaftliche Zusammenleben einfach ausgeblendet.

Was wir bei diesem Stadtrundgang mitgenommen haben, ist, dass Suffizienz nicht immer automatisch Verzicht bedeuten muss. Sondern, dass es vielmehr darum geht, aufzuzeigen, dass das gute Leben nicht automatisch mit immer noch mehr verbunden sein muss. Suffizienz-orientierte Stadtentwicklung bringt die Bedürfnisse der Menschen in eine angemessene Balance mit den ökologischen Grenzen und sozialer Gerechtigkeit und schafft so eine lebendige Stadt mit großer Lebensqualität.

Danke an Clara und das Transformative Denk und Machwerk e.V. für diesen tollen Stadtrundgang und die vielen Einblicke, wie eine nachhaltige und lebenswerte Stadt von Morgen aussehen kann.

Lust bekommen?

Du willst den Stadtrundgang selbst einmal mitmachen? Das Transformative Denk und Machwerk e.V. bietet immer wieder Termine an.

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